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Sattelrekonstruktion

Der passende Sattel oder Rekonstruktion als Puzzle

Nachdem mein Pferd Janosch auf einen anderen Hof und damit in ein etwas steileres Gelände umgezogen ist, veränderte sich auch seine Muskulatur. Der mir lieb gewordene Distanzsattel vom Typ Marathippo II paßt gerade bei Winterpelz nicht mehr optimal. Da er bereits aufgepolstert wurde, ergeben sich außer einer dickeren Unterlage nicht mehr viele Möglichkeiten der Anpassung. Also muß ich über einen neuen Sattel nachdenken und wenn ich schon Geld „in die Hand nehme“, warum dann nicht ein historischer Satteltyp?


Grundsätzliche Überlegungen

Natürlich wollte ich meine Latgalendarstellung weiter ausbauen. Und da die alten Letten auch Pferdenarren waren, stürzte ich mich in das Abenteuer „historischer lettischer Sattel“. Trensen, Riemenverteiler und Geschirrfragmente gibt es genug, da wird es bestimmt auch was Entsprechendes über Sättel geben – dachte ich!

Wälzen von Büchern und Anfragen im historischen Museum in Lettland brachten erstmal keine Ergebnisse. Es gibt keine Funde, die eine Rekonstruktion eines kompletten Sattels aus der Zeit vor der Kolonisierung durch den Deutschen Orden zuließen. Außer einem Sattelbogen aus Elchhorn. Unklar ist den Historikern in Lettland jedoch, ob es sich hier um den Vorder- oder Hinterzwiesel handelt, welches Material zur Polsterung verwendet wurde oder ob es Verzierungen gab.



Teil eines lettischen Sattels Seiten- und Frontansicht


Und wie detailgetreu sollte der neue Sattel insgesamt werden? Mit Holzbaum? Und würde der Sattel für die Reitweise taugen, auf die Janosch und ich uns in langen Jahren eingeschossen haben?

Ziemlich schnell war für mich klar, daß der Sattel ein modernes, pferderückenfreundliches Innenleben haben sollte. Der Sattelbaum kann aus Kunststoff sein, damit das gesamte Ding nicht zu schwer wird und auch weiterhin die Flexibilität aufweist, an die Janosch gewöhnt ist. Der Sattel soll ja auch tagtäglich zum Einsatz kommen und nicht ein starres Schaustück auf dem Rücken meines Pferdes für einige wenige Tage im Jahr sein.

Aber die Optik muß stimmen – hier will ich so dicht wie möglich an ein mögliches historisches Stück rankommen!


Annähern an ein mögliches Modell

Zunächst suchte ich Informationen über die zur Jahrtausendwende existierenden Satteltypen zusammen.

Da gab es zunächst den östlichen Satteltyp, wie er bei den Reiternomaden und Steppenvölkern Verwendung fand. Der Reiter sitzt erhöht über dem Pferd. Dadurch wird das berittene Bogenschießen begünstigt. Stellt sich der Reiter dazu in den Bügeln auf, klemmt er sich mit den Knien eher am Sattel als am Pferd fest und kann sich bequem nach hinten umdrehen zum sog. Partherschuß. Vordere und hintere Galerie bieten einen optimalen Kompromiss für festen Sitz (manche Steppenvölker benutzen auch Lanzen im Kampf) und Beweglichkeit zum Bogenschießen.



Sättel des östlichen Typs 


Beim westlichen Satteltyp wird der Reiter durch Vorder- und Hinterzwiesel fester gestützt. Vergleicht man verschiedene Bilder west- und mitteleuropäischen Ursprungs aus dieser Zeit, fällt das nach vorne gestreckte Bein des Reiters und der lange Steigbügel auf. Dies ergibt einen tiefen Sitz, der später beim Kampf vom Pferd aus für die nötige Stabilität sorgt.



Lettischer Sattel des 13. Jh., westlicher Typ 


Jetzt stellte sich die Frage, welcher Typ in Lettland Verwendung fand. Möglich wären beide Sattelversionen. Es gab sowohl Handelsverbindungen zu den Steppenvölkern als auch über die Skandinavier Kontakte nach Mittel- und Westeuropa.

Die weiteren Überlegungen, welcher Satteltyp in Frage kommen könnte, führten zur Analyse der örtlichen Gegebenheiten, die wiederum Einfluß auf die Reitweise haben. Liegt eher das Steppenumfeld vor, das lange Galoppaden, stehend im Sattel, ermöglicht? Oder eher waldreiches Gebiet, das ein ganz anderes Manövrieren zu Pferd erfordert und damit einen festeren Sitz?

Latgale und die übrigen baltischen Regionen zeichneten sich (auch heute noch) durch starke Bewaldung und ausgedehnte Seenplatten aus. Diesem Umstand ist es wahrscheinlich zu verdanken, daß die Expansion der slawischen Völker südlich an Lettland vorbei führte, in die leichter zugänglichen Ebenen. Ebenso gelang es dem Schwertbrüderorden und später dem Deutschen Orden nur mühsam, Fuß zu fassen.

Diese Überlegungen und eine erneute Anfrage im historischen Museum führten zu einer Konzentration auf den westeuropäischen Satteltyp. Nun hatte ich die Grundkonstruktion des Sattels festgelegt, fraglich blieb die weitere Gestaltung.

Wie waren die vordere und hintere Galerie beschaffen? Der Vergleich mehrerer Quellen zeigte, daß es verschiedene Satteltypen zur gleichen Zeit gegeben hat. Bestes Beispiel (wenn auch für meinen Zeitraum zu spät) ist die Manessische Liederhandschrift. Neben den reinen Kampfsätteln mit hohen, festen Lehnen gibt es auch Sättel, deren Galerien deutlich flacher ausfallen. Auch ein flacherer Reisesattel schien vorhanden. Aus dem Utrecht-Psalter konnte ich keine genauen Rückschlüsse ziehen, die mir zugänglichen Reiterzeichnungen waren zu klein und zu ungenau. Ebenso der Teppich von Bayeux. Sättel sind hier stereotyp rautenförmig dargestellt, eine genaue Gestaltung läßt sich nicht ablesen.

Der Vergleich des Elchhornbogens mit Skizzen und Rekonstruktionszeichnungen des Wurtfundes vom Elisenhof und des altsächsischen Sattels, der z.Zt. bei Caro Holleber in Rekonstruktion ist, zeigte auch wieder deutliche Unterschiede. Die Sattelbretter schienen in dem lettischen Sattelbogen verzapft gewesen zu sein. Die Wölbung des Sattelbogens könnte auf eine Verwendung als hintere Galerie hinweisen. Der Bogen mit den Löchern für die Verzapfung weist darauf hin, daß er den hinteren Abschluß eines recht kurzen Sattels bildete (kein Auslaufen der Trachten nach hinten wie bei anderen Modellen).

Dazu im Gegensatz steht der Parallelfund eines slawischen Sattels aus Schleswig. Hier ist der Hinterzwiesel ähnlich den modernen Westernsätteln, also wesentlich runder gearbeitet und auf den Sattelbrettern befestigt, die weiter nach hinten auslaufen. Der lettische Sattel wäre also von der Auflage auf dem Pferd her kürzer als die modernen Western- oder Trachtensättel. Der Vorderzwiesel des Schleswiger Sattels steht gerade und senkrecht von den Sattelbrettern ab, wie bei allen verglichenen Sattelmodellen. Außderdem weist der Rand des Hinterzwiesels Schnitzmuster als Verzierung auf. Ein Element, das bei dem lettischen Fund fehlt.




Slawischer Sattel aufgenommen im Schloss Gottorf


Außerdem lassen sich keinerlei Abnutzungen oder Abrieb feststellen, die genauere Auskunft über die Verkleidung des Elchhornbogens geben. Da alle Ausrüstungsgegenstände der Letten aufwendige Verzierungen aufweisen, diese aber bei dem Sattelbogen fehlen, gehe ich davon aus, daß hier ein Überzug aus Leder oder Stoff wahrscheinlich ist. Die Dimension und Winkelung der Sattelbretter müßte man anhand der Zapflöcher errechnen können.

Eine weitere wichtige Zusatzinformation kam von Janis Kuskis, der sich intensiv mit der lettischen Reiter- und Kriegerthematik befaßt:
die Latgalen kämpften nicht vom Pferderücken aus, sondern ritten zum Kampfplatz, stiegen ab und stritten als Fußkämpfer!
Erst im 13. Jahrhundert gelangten die Kastensättel mit ihren hohen Lehnen im Einflußbereich des Deutschen Ordens ins Baltikum. Janis hatte sich bereits intensiv mit den Kastensätteln des Hochmittelalters beschäftigt und auch einen solchen nachgebaut (s.o., Bild des westl. Satteltyps).
Damit schieden für mich und meinen zeitlichen Rahmen die hohen Galerien aus, die eine Verankerung des Reiters und damit das Abfangen eines Lanzenstoßes ermöglichten.

Der Sattel war also vermutlich mit zwei kleineren Galerien versehen, die Sattelbretter im Bogen verzapft, optisch muß man sich also einen kurzen Sattel vom heutigen iberischen Typ vorstellen.


Vergleich mit heutigen Satteltypen

Jetzt beginnt die Suche: welche heute noch gebauten Sättel kommen optisch am dichtesten an meine Interpretation heran?
Wie oben gesagt, dürften die iberischen Sättel die beste Ausgangsposition für eine Rekonstruktion bieten. Diese Sättel verfügen noch über die breiten Auflagen (Trachten), die Pferd und Reiter über Stunden bequem verbinden, sowie über die typischen Galerien.

Mixta und Potrera als Unter- oder Mischtypen der iberischen Sättel scheiden wegen des rund geschnittenen, langen Sattelblattes aus. Auf sämtlichen zeitgenössischen Abbildungen sind gerade geschnittene Sattelblätter zu sehen.

Auch die Jerezana mit ihrem kurzen Sattelhorn scheint nicht in Frage zu kommen, da auch hier die bildlichen Darstellungen meist einen ausgeprägteren Vorderzwiesel erkennen lassen.

Meine Wahl fiel auf den Ultraflex-Sattel Bent-Branderup aus der Sattlerei Deuber+Partner aus Schweinfurt. Dieser Sattel bietet eine für das Pferd hervorragende Paßform nach neuesten Erkenntnissen bei historischer Optik. Entwickelt wurde dieser Sattel für die Barockreitweise, namensgebend ist einer der führenden Barockausbilder, Bent Branderup.

Dieser Sattel ist nicht ganz so wuchtig wie die spanischen Vertreter, er wird als Maßsattel individuell für Pferd und Reiter angepaßt.
Optisch kommt dieser Sattel bisher am dichtesten an die von mir gestellten Überlegungen zur Sattelrekonstruktion ran.


Der Nachbau

Auf der Equimundo-Messe in Mannheim hatte ich die Gelegenheit, mir den Branderup-Sattel anzusehen und auch mal einen Blick unter die Verkleidung werfen zu können.
Große Überraschung: die Form des Hinterzwiesels unter der Polsterung ist in der Proportion identisch mit dem lettischen Elchhornbogen! Nur etwas kürzer als bei der „Serienfertigung“ müßte die hintere Galerie ausfallen.

Bei der Sattelanprobe zeigte sich: der Sattel paßt hervorragend auf Janoschs Rücken, sieht wesentlich leichter aus als die spanischen Sättel und bietet in braun mit Messingschnallen eine schöne, schlichte Optik. Nach Aussage des Herstellers können auch nachträglich noch Bronzebeschläge an den Galerien oder am Sattelblatt angebracht werden.

Serienmäßig wird der Sattel mit einem sog. Kurzgurt geliefert, d.h. seitlich am Pferdebauch laufen zwei Gurtstrupfen, erst an der Bauchunterseite sitzt der Gurt, der den Sattel hält. Da Janosch den Sattel aber jeden Tag tragen soll und schon mehrfach unter Gurtdruck gelitten hat, wird es einen sog. Langgurt mit Lammfellüberzug geben, d.h. die Schnallen des Sattelgurtes werden recht weit oben sitzen. Dazu wird die Begurtung am Sattel angepaßt werden müssen.

Aber um ehrlich zu sein – über Sattelgurte und deren genaue Dimensionierung und Anbringung gibt es noch weniger Informationen als über die Sättel selbst ;-). Und in diesem Punkt wähle ich die für das Pferd beste Lösung.



Der fertige Sattel, Dezember 2003 


Schlussbemerkung

Ich strebe kein historisches Replikat an! Basierend auf einer modernen Konstruktion (flexibler Sattelbaum) und den Funden in Lettland und Schleswig habe ich eine mögliche historische Optik erarbeitet. Der Sattel ist meine Interpretation, wie lettische Sättel um die erste Jahrtausendwende ausgesehen haben könnten. Andere mögen zu anderen Erkenntnissen gelangen, Belege gibt es außer den genannten Funden bis jetzt keine weiteren.

Ich bin an weiteren Forschungen zu diesem Thema sehr interessiert und bitte jeden, der weitergehende Informationen zu den Sätteln der ersten Jahrtausendwende hat, diese mit mir zu teilen.


Erfahrungsbericht 2011

Ich habe keinen Tag die Anschaffung dieses Sattels bereut. Alle Überlegungen zur Reitweise im eisenzeitlichen Lettland treffen für diesen Sattel zu. Er ermöglicht eine direkte Gewichtseinwirkung nicht nur rechts und links, sondern auch rechts-vorne oder links-hinten. Diese Gewichtshilfen sind unerlässlich, wenn es um das Manövrieren auf engem Raum oder in unwegsamem Gelände geht. Gleichzeitig zeigt der Pferderücken keine Ermüdungserscheinungen bei längeren Geländeritten in allen Gangarten.

In Ergänzung mit dem Zaumzeug kann das Pferd sehr direkt aber ohne Härte dirigiert werden. Die Einwirkungen auf den Pferderücken sind einerseits punktuell steuernd, andererseits aber so gut im Druck verteilt, dass bei gut passendem Sattel keine Rückenempfindlichkeiten zu befürchten sind.


Danksagung

Vielen Dank an Alexandra Krug für Gedankenaustausch und Ideen, an Ulli Mayer-Köster für das archäologische Material und Ihre Veröffentlichungen zu historischen Sätteln, an Janis Kuskis für die Informationen über die lettischen Krieger.


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